Manager*innen an die Kundenfront!

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Charlotte Malz
Head of Marketing, BSI
#news

Der Blick nach China lohnt sich, davon ist Ralf T. Kreutzer, Professor für Marketing an der Berlin School of Economics and Law und vielfacher Autor diverser Marketing- und Management-Fachbücher, überzeugt. Nicht nur in punkto Künstliche Intelligenz, sondern auch bei der Kundenzentrierung können wir in Europa einiges von China lernen. In Teil 2/2 des Interviews plädiert der Marketingexperte für mehr Mut und Machertum, ganz nach dem Motto: Weniger Perfektion, mehr Mut zu Neuem.

Interview mit Ralf T. Kreutzer - Teil 2/2

Haben deutsche Unternehmen überhaupt eine Chance gegenüber chinesischen und amerikanischen Playern, wenn es um das Thema Künstliche Intelligenz (KI) geht?

Bei KI geht es vor allem um eines: Daten, Daten, Daten. Wir drehen uns in Europa sehenden Auges ganz viele Datenströme ab, die wir eigentlich bräuchten, um die Algorithmen der Künstlichen Intelligenz zu trainieren. Ich meine dabei nicht eine allumfassenden Datennutzung, wie ich sie in China erlebt habe. Aber ich wünsche mir, dass wir etwas freier mit Datenmaterial arbeiten können. Wir müssen in Europa Gas geben und uns um den Aufbau von Datenpools kümmern, damit die Abhängigkeit von US-amerikanischen Anbietern abnimmt. Natürlich gilt es parallel auch die kritischen Aspekte der KI ernst zu nehmen. Aber wir können es uns nicht leisten, vor lauter Angst, etwas könnte schief gehen, gar nichts zu unternehmen.

Aus Unternehmensperspektive bin ich voll bei Ihnen. Aber wenn wir die Kundenbrille aufziehen: Wie können wir dem Kunden vermitteln, dass es sich lohnt, Daten zu teilen?

Hierzu möchte ich das sogenannte Informationsparadox anführen. Werden Kunden gefragt, ob sie bereit sind, Unternehmen Daten zur Verfügung zu stellen, um einen besseren Service zu erhalten, verneinen sie das häufig mit dem Argument, keine gläsernen Konsumenten sein zu wollen. Werden ihnen dann aber – datenbasiert – besonders relevante Informationen oder Produkte präsentiert, greifen sie nur zu gerne zu. Die Erfahrung hat gezeigt: Wenn Kunden einen (monetären) Vorteil sehen, schieben sie die Daten nur allzu gern rüber. Nur wenn die Kunden direkt befragt werden, geben sie andere Antworten. Wir kennen dieses Phänomen aus der Marktforschung. Es geht hier um die soziale Erwünschtheit. Befragte antworten so, wie sie meinen, dass es von der Gesellschaft erwartetet wird. Und Datenschutz steht ziemlich hoch auf der Agenda.

Sie waren bereits mehrmals auf Forschungsreise in China. Was können wir von chinesischen Unternehmen lernen?

Zuerst einmal: Es werden nicht nur Konzepte entwickelt, sondern diese werden auch umfassend implementiert. China und viele chinesischen Unternehmen stellt die Künstliche Intelligenz ins Zentrum der 4. industriellen Revolution. In Europa beobachte ich immer wieder, das lange abgewogen und aus Sorge, etwas könnte schieflaufen, bei der Umsetzung gezögert wird. Wir müssen mehr ausprobieren. Von der vielzitierten fehlertoleranten Kultur sind wir in unseren Unternehmen, aber auch in der Gesellschafft insgesamt, leider noch weit entfernt. Es geht also in einem ersten Schritt um einen Mindset-Change – bei Bürger*innen, Manager*innen und Politiker*innen!

Wir müssen lernen, uns aus den noch immer stark verkrusteten Strukturen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu lösen. Wir sprechen ja hierzulande immer von «Time-to-Market», d.h. wie lange es dauert, bis ein Produkt so weit ist, dass es auf dem Markt gebracht werden kann. Im Silicon Valley ist hingegen immer nur von «Time-to-Value» die Rede, was mir persönlich viel besser gefällt. Dort wird gefragt, wie lange es dauert, bis ein neues Produkt oder ein neuer Service (etwa eine App) einen ersten Nutzen für den Kunden erbringt. Nehmen wir die App als Beispiel: Es kann durchaus sein, dass nur drei Funktionen einer App schon 80% der Use Cases abdecken. Statt auf die vermeintlich perfekte Lösung zu warten – wie wir das noch zu häufig tun –  sollte ein Unternehmen damit schon einmal auf den Markt gehen. Die Kundenresonanz ist dann das Futter für die weitere Entwicklung. Spricht man immer wieder intensiv mit den Kunden, werden tolle Ideen gefunden – auf die die eigene Entwicklungsabteilung häufig nicht gekommen wäre.

Und was sind Ihre Erfahrungen aus China in punkto Kundenzentrierung?

In China ist mir die ausserordentliche Serviceorientierung aufgefallen. Es war überhaupt kein Problem, in den Konferenzraum im 20. Stock für genau 14.15 Uhr Kaffee (in vier Varianten) per App zu bestellen. Dieser wird in perfekter Qualität (noch wunderbar heiss) pünktlich ausgeliefert. In Restaurants wird per iPad bestellt, auf dem Tisch liegen iPhone-Charger bereit. Alles mit dem Ziel: höchste Convenience für den Kunden. Diese On-Demand-Gesellschaft braucht natürlich eine grosse Zahl an «Wasserträgern». Hiermit meine ich die grosse Zahl von Menschen, die per Elektroscooter alle mögliche Ware (u.a. das Mittagessen, aber auch alle Bestellungen von Alibaba & Co.) an die Kunden in den Bürotürmen ausliefern. Anderseits sorgt diese Entwicklung dafür, dass die Arbeitslosenquote in den großen Städten fast gegen null geht, weil jeder innerhalb dieser Wertschöpfungsketten sein Plätzchen findet.

Zu guter Letzt: Was möchten Sie Marketers da draussen mitgeben?

Manager*innen an die Kundenfront! Ich habe das Gefühl, viele haben Angst vor dem Kundenkontakt, denn die Kunden könnten ja etwas sagen, was ich nicht hören möchte. Aber sie erzählen es trotzdem – ob ich zuhöre oder nicht. Dann ist es schon besser, wenn ich es bin, der zuhört. Ausserdem sollten jetzt möglichst viele Unternehmen erste Fingerübungen mit KI machen! Hierzu kann beispielsweise mit Chatbots oder KI im Kundenservice experimentiert werden. Für den Maschinenbau ermöglicht die Predictive Maintenance – die vorausschauende Wartung von Anlagen – ganz neue Geschäftsmodelle. Deshalb sollten Unternehmen eigene Ressourcen und eigenes KI-Wissen aufbauen, um auf dem Markt bestehen zu können. Der Blick nach China zeigt, was schon heute machbar ist – und dort werden weiterhin sehr viele Ressourcen in das Thema KI und darauf basierende Geschäftsmodelle gesteckt.


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